Torben Lindø, Steffen Vater und Christian Thürmer im Interview zu Ponto 4: "Wir glauben an die direkte Anbindung"

Seit Anfang Juni ist „Ponto 4“ verfügbar, das neue knochenverankerte Hörsystem von Oticon Medical. Basierend auf dem erst kürzlich gelaunchten Velox S-Chip ist das „Ponto 4“ nicht nur kleiner und diskreter als sein Vorgänger, es ist auch deutlich schneller. 

Veröffentlicht am 17 Juni 2019

Torben Lindø, Steffen Vater und Christian Thürmer im Interview zu Ponto 4: „Wir glauben an die direkte Anbindung“

Zudem sorgt der OpenSound Navigator nun auch in der Welt der knochenverankerten Hörsysteme für den bekannten „Opn“-Paradigmenwechsel. Zum Marktstart sprachen wir mit dem Geschäftsbereichsleiter Oticon Medical Steffen Vater, dem Produktmanager von Oticon Medical Christian Thürmer sowie mit dem Geschäftsführer der Oticon GmbH Torben Lindø.

Herr Lindø, Herr Vater, Herr Thürmer, Ende Mai haben Sie auf dem Kongress der Deutschen Gesellschaft für HNO-Heilkunde in Berlin das „Ponto 4“ erstmals einem größeren Publikum vorgestellt. Was sind die Vorzüge des „Ponto 4“?
Torben Lindø:Schon beim „Ponto 3“ haben wir erlebt, was es bedeutet, wenn man deutlich bessere Klangqualität und deutlich besseres Sprachverstehen anbietet. Das ist ja das, worauf es ankommt. Wie gut höre ich? Wie gut verstehe ich? Welche Anstrengung ist damit verbunden? Inspiriert von der „Opn“-Signalverarbeitung machen wir hier nun noch mal einen Sprung nach vorne. Gleichzeitig können wir weitere Nutzungsvorteile in Form von Konnektivität anbieten. Und auch das Design ist noch mal deutlich anspruchsvoller als bisher.

Sie bieten die bewährte „Opn“-Technologie nun also auch im „Ponto 4“ an?
Steffen Vater:Ja. Dass wir von den Entwicklungen des Hauses profitieren, ist natürlich gewollt. So funktioniert Demant. Da, wo es Sinn ergibt, arbeiten die verschiedenen Bereiche eng zusammen. Wir müssen nicht über Lizenzen verhandeln oder Abkommen schließen, um Technologien zu nutzen. Sie sind einfach da – und wir können sie für unsere Zwecke anpassen.

Bevor wir in die Details gehen: Wann braucht es ein  Knochenleitungshörsystem? Wenn man über die Luftleitung keinen Schall mehr wahrnehmen kann?
Steffen Vater: Das wäre eine Indikation. Auch ein kombinierter Hörverlust, also wenn zudem das Innenohr betroffen ist und man nicht nur eine Schallleitungsschwerhörigkeit  überbrücken muss, ist eine Indikation. Hier haben wir mit dem „Ponto“ nach unserer Auffassung durch die direkte Ankopplung das audiologisch bessere Konzept. Um die Dämpfung durch die Haut zu umgehen, schicken wir das Signal nicht transkutan, sondern über die direkte Ankopplung. Dafür wird bei einem kleinen, inzwischen minimal invasiven Eingriff eine 4mm lange Schraube gesetzt, auf die man das „Ponto“ aufsetzt. So bekommt man eine direkte Schallübertragung von der Luft über den sich bewegenden Teil des „Ponto“ auf den Knochen. Dabei bleiben nahezu alle Informationen erhalten, auch die oberen Frequenzen. Dass man so besser versteht, können wir anhand von Studien belegen. Patienten mit einer direkten Ankopplung können im Vergleich zum Beispiel 2,5 Mal schneller lernen. Zudem geht man mit deutlich weniger Höranstrengung durchs Leben und hat eine um 13% höhere Merkfähigkeit. Darum glauben wir an die direkte Ankopplung.

Wie können wir uns diesen Eingriff heute vorstellen?
Steffen Vater:Das ist ein sehr kleiner, schneller Eingriff. In manchen Ländern wird er ambulant gemacht, in Deutschland ist er meist mit einem kurzen Krankenhausaufenthalt verbunden. Auch wenn der Vergleich vielleicht etwas hinkt, vergleiche ich das Prozedere gerne mit dem für ein Zahnimplantat.

„Ponto“-Träger, mit denen wir vor einiger Zeit sprachen, berichteten von Hautreizungen. Ihrerseits hieß es, die würden bei gerade mal 2% der Fälle auftreten. Bleiben Sie weiterhin bei diesen 2%?
Christian Thürmer:Da sich vor rund fünf Jahren an dem Verfahren etwas geändert hat, würde ich gerne noch weiter runtergehen. Wir haben inzwischen ja den Vorteil, dass es zum Einsetzen der Schraube keinen Schnitt mehr braucht. An diesem Schnitt konnte es zu Entzündungen oder Infektionen kommen. Mittlerweile wird aber gestanzt. Das heißt, man stanzt und setzt sofort das Implantat, so dass sich die Haut drum herum setzt. Das senkt die  2%, von denen Sie sprachen, noch mal deutlich.

Wir hörten in der Vergangenheit auch von größerem Aufwand bei der Abrechnung mit der Krankenkasse. Was ist da noch dran?
Steffen Vater: Die Abrechnung läuft nicht ganz so wie bei Hörsystemen. Natürlich verfügt auch das „Ponto“ über eine Hilfsmittelverzeichnisnummer, aber es ist und bleibt eine Einzelfallentscheidung. Daher bieten wir, wenn gewünscht, Unterstützung bei der Beantragung an.

Sie hatten es eben bereits erwähnt: Mit dem „Ponto 4“ hält die „Opn“-Technologie Einzug bei Oticon Medical. Im Vergleich zum Vorgänger: Welche Veränderungen gehen damit einher?
Steffen Vater:Das „Ponto 3“ war audiologisch bereits super. Aber klein und diskret, das konnten wir noch besser. Der Prozessor des „Ponto 4“ ist der kleinste am Markt. Darüber hinaus steckt nun der OpenSound Navigator im „Ponto“. Und schließlich bieten wir eine wirkliche Konnektivität, also nicht nur das Direct Streaming über 2,4 GHz, sondern über IFTTT auch eine Anbindung ans Internet der Dinge. Dieser Dienst mag heute in der Breite vielleicht noch nicht so viel genutzt werden, aber er wird künftig an Relevanz gewinnen. Wir haben hier also die volle Oticon Konnektivität und sind True Wireless. Außerdem haben wir mit der Remote Control eine kleinere Fernbedienung.

Für die Anbindung an Android-Geräte braucht man weiterhin den ConnectClip?
Christian Thürmer:Richtig, aktuell ist das noch der Fall. Hier sind wir abhängig vom Bluetooth Standard, das hängt also nicht an uns.

Wie haben Sie den OpenSound Navigator auf das Prinzip der Knochenleitung übertragen?
Christian Thürmer:Das war einfacher als man denken würde. Im BAHS-Bereich ist es „nur“ das schwingende Element, der Vibrator, der Transducer, welcher als zusätzliche Komponente ins Spiel kommt. Und der ist ja im Grunde nichts Neues. Schon früher gab es die Möglichkeit, ein Hörgerät per Kabel über ein schwingendes Element anzuschließen. Und wenn man es schon über ein simples Kabel schaffte, dann ist das mit einem durchdesignten Gerät von heute überhaupt kein Problem. So konnten wir die Technik mit der Velox S-Plattform nahezu ohne Übersetzung eins zu eins umsetzen. Darum sind wir dieses Mal so dicht an der Einführung des Velox S-Chips dran. Das schafft man nur, wenn es keiner besonders großen Transferleistung bedarf. Und damit haben wir hier nun auch diesen Paradigmenwechsel, so dass man seine akustische Umgebung komplett wahrnimmt. Nicht zu vergessen: Der Velox S-Chip steht für Geschwindigkeit. Und da wir die klassische Velox-Plattform ausgelassen haben, ist das „Ponto 4“ gleich 50 Mal schneller als der Vorgänger.

Also steckt im „Ponto 4“ im Grunde ein „Opn S“?

Christian Thürmer:Wenn ich an das „Ponto 4“ denke, denke ich an drei Dinge: an die neue Plattform mit dem OpenSound Navigator, an den kleinsten Hörprozessor am Markt und an das Direct Streaming. Die Signalverarbeitung basiert wie beim „Opn“ auf drei Säulen – der Analyse, der Balance und der Lärmunterdrückung. Man erhält ein offenes, ausgewogenes Klangerlebnis und bekommt keine akustischen Scheuklappen aufgesetzt. Wir haben uns also der Arbeitsweise des Gehirns angepasst. Das bedeutet wiederum, dass man weniger Höranstrengung und mehr Merkfähigkeit hat. Und weil wir den Velox S-Chip haben, gibt es noch mehr. Komme ich abends nach Hause und bin müde und kaputt, kann ich dem OpenSound Navigator sagen, dass er  mir die Hörsituation noch angenehmer gestalten soll. Diesen sogenannten OpnSound Booster kann man als Endkunde selbst aktivieren.

Sie hatten eben gesagt, dass das „Ponto 4“ auch kleiner, diskreter sei.
Christian Thürmer:Bei Hörsystemen gibt es ja immer den Wunsch, möglichst unauffällig zu sein. Diese Diskretion ist bei der Knochenverankerung natürlich nicht so einfach zu erreichen. Für die Schwingung braucht man eine gewisse Masse und Kraft. Mit einer minimal kleinen Feder ließe sich das nicht machen. Und doch ist es uns gelungen, das „Ponto 4“ im Vergleich zum Vorgänger noch mal um 27% kleiner zu bauen – mit einer 312er Batterie.

Inwiefern unterscheidet sich die Anpassung des „Ponto 4“ von der des „Opn“?
Christian Thürmer: Die Anpassung läuft ganz wie in der  „Genie 2-Oberfläche“ für Hörgeräte ab, das ist uns sehr wichtig. Man muss also nicht umdenken, man kennt den Ablauf bereits. Natürlich kann man sich von uns auch schulen lassen, aber wenn man mal ein „Opn“ angepasst hat, dann braucht man eigentlich keine Schulung. Der Aufbau und auch der Anpassungs-Ablauf in der „Genie 2“ und in der entsprechenden „Genie Medical BAHS“ sind exakt gleich. Wir machen es also nicht schwerer als es ist.

Wie verläuft die Patientenreise zu einem „Ponto“?

Steffen Vater: Es gibt zwei klassische Wege. Der eine führt über ein Krankenhaus oder einen HNO-Arzt, der feststellt, dass z.B. der Gehörgang nicht richtig ausgebildet ist. Das kann angeboren sein, oder es kann etwa durch einen Unfall auftreten. So käme der Patient schließlich über eine Klinik oder einen HNO-Arzt zum Akustiker mit der Bitte, die knochenverankerte Variante auszuprobieren. Und der Akustiker kann einem dann eine Probephase gewähren. Der zweite Weg führt zunächst direkt über den Akustiker, falls der Patient bereits schon länger Kunde bei ihm ist und seine (Schallleitungs-)Schwerhörigkeit immer weiter fortschreitet, kann eine Probephase hier direkt angedacht werden.

Ohne Eingriff?
Steffen Vater:Ja. Für die Probephase würde man die Dämpfung über die Haut in Kauf nehmen und es von außen ausprobieren, etwa mit einem Softband oder Kopfbügel. So kann man herausfinden, ob es hilft und ob es das ist, was man haben möchte. Ist dem so, würde man dann die Schraube setzen. Bei Kleinkindern würde man diesen Eingriff jedoch noch nicht durchführen, sondern würde – auch wieder die Hautdämpfung in Kauf nehmend – ein Softband nutzen und erst später über den Eingriff nachdenken.

Wo erfolgt die Erstanpassung, und wer führt diese durch?
Steffen Vater: Nach dem Eingriff wartet man die Einheilungsphase ab. Theoretisch könnte man das „Ponto“ schon nach vier Wochen aufsetzen, oft wartet man aber auch zwei, drei Monate. Und dann geht man zum Akustiker, der schließlich die Anpassung vornimmt.
Torben Lindø: Wegen des Implantats denkt man hier vielleicht noch an das CI, aber in diesem Fall ist das Setzen des Implantats eine Kleinigkeit. Die Gemeinsamkeiten mit konventionellen Hörgeräten sind, was die Anpassung, die Signalverarbeitung und weitere Möglichkeiten angeht, wesentlich größer. Deshalb ist es logisch, dass die Anpassung von Akustikern durchgeführt wird.

Was kann man als Hörakustiker außerdem tun, um mit dem „Ponto“ arbeiten zu können?
Steffen Vater: Zunächst würde ich raten, sich von unserem Oticon Medical Außendienst besuchen zu lassen, gerne in Anwesenheit eines „Ponto“-Kandidaten. Denn der muss ja auch eine Gedankenreise machen. Bisher hatte der vielleicht ein Hörgerät, und nun hört er das bei ihm eventuell negativ besetzte Wort Krankenhaus. Da könnte es hilfreich sein, wenn unser Außendienst die Argumente ausbreiten und so auch die Scheu vor dem Eingriff nehmen kann. Wie gesagt vergleichen wir den Eingriff mit dem Setzen eines Zahnimplantats. Auch eine Ausprobierphase könnte man so beginnen. Ein Reinhören kann ja bekanntlich viel helfen. Und bei der Beantragung bei der Krankenkasse, die etwas aufwendiger ist als bei einem normalen Hörsystem, bieten wir dann auch Hilfestellung. Und auch beim Thema Klinik können wir mit unserem Netzwerk weiterhelfen.
Torben Lindø: Man braucht wirklich keine Berührungsängste zu haben. Wir sind so aufgestellt, dass wir in jeder Phase helfen können.

Ist das Implantat MRT-fähig?
Steffen Vater: Ja, die kleine Titanschraube ist MRT-Fähig. Durch die Größe von 4mm ist hier auch der Schatten, den jedes metallische Implantat bei einem MRT wirft, sehr klein. Das „Ponto 4“ ist also sehr alltagstauglich. Darüber hinaus möchte ich außerdem erwähnen, dass das Implantat reversibel ist. Wenn man es nicht mehr tragen möchte, nimmt man es heraus und nach zwei Wochen ist die Stelle verheilt.

Herr Lindø, Herr Vater, Herr Thürmer, haben Sie vielen Dank für das Gespräch.
Demant

Im März dieses Jahres hat sich die William Demant Holding in Demant umbenannt. Mit der Umbenennung will man der rasanten Entwicklung der Gruppe Rechnung tragen, zu der heute viele große wie kleine Firmen gehören. Einst als finanzieller Schirm mit typischen Holding Aktivitäten über die Firmen gespannt, deckt der neue, unter dem Namen Demant aufgespannte Schirm nicht nur über die Gruppen des Konzerns ab, er arbeitet auch aktiv mit und sorgt so dafür, dass die konzerneigene Multibrand Strategie lebt. Die einzelnen Marken bleiben unter dem Demant-Schirm freilich dieselben. Nur wolle man so noch mehr Synergien forcieren und nutzen.

Oticon Medical

Im Bereich Hearing Healthcare führend zu sein, das ist das Ziel des Demant Konzerns. So führten die Dänen 2010, neben der Hörsystem- und Messtechnik-Kompetenz, Oticon Medical als weiteres Standbein ein. Das erste Produkt war 2010 das knochenverankerte Hörsystem „Ponto“, das im Sommer 2019 in der vierten Generation auf den Markt kommt. Nach eigenen Angaben ist Oticon Medical in diesem Segment einer der beiden Technologie- und Marktführer. Mit der Akquisition der französischen Firma Neurelec wurde Oticon Medical schließlich auch Hersteller von Cochlea-Implantaten. Hier bündelte man die Erfahrungen und Kompetenzen mit den anderen Firmen des Demant Konzerns und konnte binnen kurzer Zeit nach eigenen Angaben gute und enge Kooperationen mit Kliniken und Meinungsführern aufbauen. In Hamburg ist Oticon Medical am selben Standort angesiedelt wie die Oticon GmbH, so dass die vielen Schnittstellen, die es zwischen den Unternehmen gibt, effizient genutzt werden können. Auch in Bereichen wie Backoffice greift man auf dieselben Ressourcen zurück. Geschäftsbereichsleiter bei Oticon Medical in Hamburg ist Steffen Vater

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