Das Ohr isst mit!

Was beeinflusst, wie uns Lebensmittel schmecken?

Barbara Buenaventura, veröffentlicht am 2. Juni 2025

Das Ohr isst mit!

Läuft Ihnen beim Gedanken an Ihr Lieblingsessen auch gleich das Wasser im Mund zusammen? Vielleicht haben Sie das Aroma des Bratens schon in der Nase oder meinen, die Textur der süßen Dessertcreme auf der Zunge zu spüren. Etwas seltener ist die Assoziation eines Lebensmittels mit bestimmten Klängen – vom Krachen beim Biss in die Karotte oder dem verführerischen Knack der Schokolade mal abgesehen. Dabei sind akustische Signale maßgeblich dafür, wie wir Speisen wahrnehmen.

Genuss ist multisensorisch

Um zu verstehen, wie akustische Signale unser Geschmackserlebnis beeinflussen, müssen wir uns das Wunderwerk des Geschmacks näher ansehen. Fünf Geschmacksqualitäten – süß, sauer, bitter, scharf und umami – sind wissenschaftlich anerkannt, die wir mit unserer Zunge schmecken. Dabei gelangen Geschmacksstoffe aus der Nahrung zu den Rezeptoren der auf dem Zungenrücken liegenden Geschmacksknospen. Dort aktivierte Signale werden über die sensorischen Fasern des Nervus facialis und des Nervus glossopharyngeus (Gesichtsnerv und „Schlucknerv“) zum Hirnstamm übermittelt. Das eigentliche Geschmacksempfinden jedoch ist eine Verknüpfung verschiedener Sinne: des Geschmacks- und des Geruchssinns, aber auch des Tastsinns und – etwa bei scharfem Essen – sogar des Schmerzempfindens.

Für das ganze Geschmackserlebnis bedient sich unserer Wahrnehmungsapparat also aller verfügbarer Sinne. Die Akustik spielt dabei eine größere Rolle als wir denken: Vom Öffnen der Bonbontüte über das Rühren in der cremigen Suppe bis hin zum Biss ins frische Croissant wird jeder mit dem Prozess der Nahrungsaufnahme verbundene Schritt auch von akustischen Signalen begleitet.

Diese akustischen Signale geben uns mehr oder weniger zuverlässige Hinweise bezüglich der Beschaffenheit des Nahrungsmittels, wecken jedenfalls aber eine Erwartungshaltung. Dabei werden manche Klänge mechanisch über den Kiefer geleitet, andere gelangen über die Luft an unsere Ohren. So geben Kaugeräusche nicht nur Aufschluss darüber, ob die Nahrung im Mund weiter verkleinert werden muss. Auch die Qualität eines Lebensmittels wird anhand akustischer Signale bewertet: Ein hoher Crunch-Faktor lässt einen Kartoffelchip hochwertiger wirken. Das Krachen beim Biss in den Apfel gilt als Indikator für Frische. Und die Vorfreude auf die eiskalte Cola steigt, wenn man die sprudelnden Bläschen im Glas mit den Eiswürfeln tanzen hört. Unabhängig vom Grad der Zuverlässigkeit von derlei Informationen wissen Lebensmittel- und Werbeindustrie diese Mechaniken längst für sich zu nutzen: vom Lebensmittelchemiker, der Rezepturen so verändert, dass beim Hineinbeißen ein maximal attraktives Geräusch entsteht, bis zum Bierbrauer, der die Kronkorken seiner Flaschen so anpassen lässt, dass beim Öffnen der optimale Plopp zu hören ist.

Experimentalpsychologe Charles Spence beschäftigt sich seit über zwanzig Jahren mit multisensorischer Wahrnehmung, insbesondere im Bereich der crossmodalen Lebensmittelforschung. In bahnbrechenden Studien an der Universität Oxford untersucht Spence, wie sich kulinarische Erlebnisse optimieren lassen – indem die Umgebung im Restaurant verändert, Geräusche bei der Zubereitung angepasst und das Essensgedächtnis „gehackt“ werden. In seinem Buch „Gastrologik. Die erstaunliche Wissenschaft der kulinarischen Verführung“ schreibt Spence: „Der Hörsinn ist der vergessene Aromasinn.“

„In mehreren Studien haben wir gezeigt, dass alles, was wir hören und wie sehr wir das mögen, Einfluss auf Geschmack, Textur und Aroma einer ganzen Reihe von Speisen hat“, heißt es weiter. „Oft gefällt uns der Geschmack einer Speise oder eines Getränks umso besser, je mehr wir die Hintergrundmusik mögen.“ So ergab eine Studie, „dass durch angenehme Musik die Süße eines Eises hervorgehoben wird, während störende Musik das Bittere betont“. In der ZDF-Sendung „Terra Xplore“ führte Spence seine überraschenden Forschungsergebnisse weiter aus: Demnach sorgen Glockenspiel- und Harfenklänge dafür, dass Kuchen als besonders süß empfunden wird. „Acht von zehn Personen sagten, dass sie etwa fünf Prozent mehr Süße schmecken, während sie süße Musik hören.“

Auch bei Getränken hinterlässt Musik eine schmackhafte Wirkung: Neun von zehn Menschen verbinden Spence zufolge hohe Klarinetten- und Flötentöne eher mit Weißwein. Musik mit schweren, tiefen Tönen wird eher mit Rotwein assoziiert. Wie lässt sich das erklären? „Eventuell hat das mit der Ähnlichkeit der Wahrnehmung von Klängen und Geschmack zu tun. Wir kombinieren fröhliche Musik zu ‚fröhlichem‘ Weißwein, wohingegen Experten sagen, dass Rotwein nur zu Moll-Tönen passt“, sagt Spence.

Sonic Seasoning: Wenn Geräusche Essen „würzen“

Während die Forschung der Sensorik ein recht kleines Feld ist, das mit wenig Probanden und vorrangig mit der Methodik von Fragebögen arbeitet, setzen viele Restaurants mögliche Erkenntnisse bereits – zum Teil ganz unbewusst – um. So arbeiten gehobene Restaurants oft mit klassischer Hintergrundmusik, die gemeinhin als „hochwertig“ eingeschätzt wird und auch beim Besuchenden den Eindruck verstärken soll, er esse etwas Hochwertiges. Auch Lautstärke und Tempo des Sounds werden intuitiv passend eingesetzt: Während zu laute Musik dafür sorgen kann, dass wir weniger schmecken und die Sensibilität für Aromen sinkt, steigert sich mit der Schnelligkeit des Rhythmus auch das Tempo des Essens. Und auch das Thema der authentischen Atmosphäre durch Musik begegnet uns in vielen Lokalen: Natürlich schmeckt das Tsatsiki in der griechischen Taverne mit authentischen Bouzouki-Klängen im Hintergrund viel besser, als wenn wir es zu Hause im Stillen auf der Couch verspeisen.

Apropos Stille: Die ist in den wenigsten Situationen, in denen gegessen und getrunken wird, realistisch – und wird auch nicht gewünscht. Das Schaben von Besteck auf Porzellan, das Klirren von Gläsern und lebhafte Gespräche sind eine vertraute Geräuschkulisse, die das überdecken, was im formaleren Rahmen zu intim erscheint: das Schmatzen, Kauen und Schlucken, das jedes Essen begleitet.

Geschmacks-Nudging: Wie direkt sind Hören und Schmecken miteinander verbunden?

Während bei manchen Menschen die Sinneswahrnehmungen besonders miteinander verknüpft sind (Stichwort: Synästhesie), nehmen die meisten von uns derlei Wechselwirkungen nicht oder zumindest nicht bewusst wahr. Dabei ist die Beziehung von Klängen und Geschmack durchaus direkt. So können akustische Signale zwar keinen Geschmack entstehen lassen, aber sie können den Fokus unserer Wahrnehmung verändern und die Aufmerksamkeit auf bestimmte Geschmacksnuancen lenken. Sie stupsen uns also in eine Geschmacksrichtung.

Derlei Aussichten könnten für Gastronomen ganz neue Möglichkeiten eröffnen, Essen im Sinne einer Dramaturgie zu gestalten – indem jeder Gang im Restaurant etwa von einer eigenen Musik begleitet wird, sich Klänge verdichten oder vielleicht doch ein konstanter monotoner Rhythmus eingespielt wird, damit wir das Gehörte vergessen und uns ganz auf den Prozess des Essens konzentrieren.

Charles Spence setzt aus anderen Gründen große Hoffnungen in seine Forschung: So könnten die entstehenden Erkenntnisse auf lange Sicht genutzt werden, um „Essen tatsächlich mit Geräuschen zu ‚würzen‘ – und so Menschen zu helfen, sich gesünder zu ernähren, sie zu besseren Essensentscheidungen zu bewegen. Zum Beispiel, indem sie weniger Zucker konsumieren, weil die Musik, die sie hören, schon süß klingt.“

Bis es so weit ist, bleibt uns nur, abzuwarten und beim Essen ganz besonders die Ohren zu spitzen. Und uns beim nächsten kraftvollen Biss in einen Apfel zu fragen: Ist dieser Apfel wirklich frisch – oder klingt er nur so?

In der gleichen Rubrik