Hersteller drängen verstärkt in den Endkundenmarkt

Unter dem Begriff Retail, zu Deutsch Einzelhandel, wird ganz allgemein der Verkauf von Produkten in einem Fachgeschäft beschrieben.

Stephan Geist , veröffentlicht am 17. Juni 2025

Hersteller drängen verstärkt in den Endkundenmarkt

Hierzulande wird der Begriff oftmals mit dem Engagement eines Produktherstellers im Endkundensegment gleichgesetzt. Im Juni gaben nun die Unternehmen Demant und KIND bekannt, dass die Fachgeschäfte der KIND-Gruppe an den Demant-Konzern verkauft wurden.

Über einen möglichen Verkauf des Familienbetriebes KIND wurde immer wieder spekuliert. Mit der Pressemitteilung vom 11.06.2025 besteht jetzt Klarheit. Die Nachricht fand nicht nur in der Fachpresse sofortigen Widerhall, sondern auch Medien wie das „Handelsblatt“, „Süddeutsche Zeitung“, „Tagesspiegel“ sowie internationale Presseportale griffen die Meldung auf. Auch in den sozialen Medien wurde der Millionen-Deal lebhaft diskutiert.

Für die stolze Summe von 700 Millionen Euro wechselt nun der Besitzer. Was einige zunächst überraschte war, dass dieser Betrag von Demant quasi aus der Portokasse gezahlt wird. Ein Indiz dafür, dass der Markt für Hörsysteme weiterhin recht lukrativ ist. Natürlich stellt sich vielen Beobachtern die Frage, welche Auswirkungen sich durch den Verkauf ergeben. Vor Ort wird sich durch die Transaktion zunächst kaum etwas verändern, da lediglich die Besitzverhältnisse wechseln und keine neuen Filialen entstanden sind.

Die Marktsituation in Deutschland und weltweit

Nach Angaben der Bundesinnung für Hörakustiker KdöR (biha) gibt es in Deutschland knapp 3.000 Fachbetriebe mit ca. 7.300 Filialen. Zu den größten bundesweit agierenden Filialisten gehören Geers (Sonova-Gruppe) mit rund 750 Filialen, Amplifon mit 600 Fachgeschäften und jetzt Demant mit insgesamt 900 Fachbetrieben. Bundesweit kommen noch größere Filialisten wie Fielmann, Apollo oder Auric hinzu. Das macht in Summe bereits über ein Viertel aller Fachgeschäfte aus. Daneben existieren lokale Großanbieter, die über 20 bis 100 Filialen verfügen, doch meist auf ein einzelnes Bundesland fokussiert betrieben werden.

Der weltweit größte Filialist ist nach wie vor das italienische Unternehmen Amplifon mit über 10.000 Fachgeschäften. Die Demant-Gruppe verfügt nach dem Zukauf über circa 4.500 Filialen und unter der Überschrift Audiological Care betreibt Sonova laut Geschäftsbericht 2023/2024 circa 3.900 Fachgeschäfte in aller Welt.

Innerhalb der international tätigen Hörgeräte-Konzerne wird das Retail-Engagement unter den Markennamen Audika (Demant) und AudioNova (Sonova) geführt. Dies bedeutet jedoch nicht, dass in allen Ländern dieser Name in den Geschäften verwendet wird. In Großbritannien nutzt Demant beispielsweise den Traditionsnamen Hidden Hearing und Sonova vereint in Deutschland die Fachgeschäfte bekanntermaßen unter der Dachmarke Geers. Es wäre daher keine Überraschung, wenn es der Demant-Konzern bei der Marke KIND belässt. Offen wäre dann, unter welchen Namen die bisherigen im Besitz der Demant-Gruppe befindlichen Fachgeschäfte in Deutschland weitergeführt werden und wo sich dann die Firmenzentrale befinden wird. Audika Deutschland ist zurzeit in Frankfurt am Main beheimatet, KIND in Großburgwedel bei Hannover. Der dortige Standort wurde in den vergangenen Jahren von der Familie Kind massiv ausgebaut und es ist schwer vorstellbar, das dieser geschlossen wird oder werden kann. Eine langfristige parallele Markenstrategie unter den Namen KIND und Audika ist eher nicht zu erwarten, dies hat zumindest die Entwicklung bei AudioNova/Geers gezeigt.

Es wird ebenso spannend zu beobachten sein, wie sich die Konzerne in den unterschiedlichen Fachverbänden einfügen werden. So war beispielsweise der Hersteller Audifon nicht im Bundesverband der Hörsysteme-Industrie (BVHI) vertreten, da Audifon seiner Zeit der KIND-Gruppe und damit dem Endkundenbereich zugeordnet wurde. Spätestens seit dem Retail-Engagement des Sonova Konzerns sind die damals vorgebrachten Argumente längst hinfällig. KIND verzichtete jedoch in der Folge auf eine Mitgliedschaft des Herstellers aus Kölleda. Jetzt sitzen mit Sonova und Demant zwei große im Retail tätige Unternehmen am Tisch des BVHI. Die umgekehrte Situation ist auch festzustellen. Durch die Übernahmen agieren in den Berufsverbänden der Hörakustiker verstärkt Hersteller von Hörsystemen beziehungsweise die Dachunternehmen mit ihrer unter Umständen ganz eigenen Perspektive. Die jahrelang in der Branche übliche strikte Trennung der Bereiche „Hersteller“ und „Verkauf an Endkunden“ existiert nicht mehr.

Sonderfall Augenoptik

Eine weitere offene Frage betrifft das zukünftige Engagement in der Augenoptik. KIND hat in diesen Geschäftsbereich in den letzten Jahren viel Zeit und Geld investiert. Für den Demant-Konzern ist dieser Fachbereich neu. Die Marktbegleiter Sonova und Amplifon haben in der Vergangenheit zwar ebenso zahlreiche Mischbetriebe übernommen, jedoch die Optik nicht weiter verfolgt. Damit bleiben im Marktsegment Akustik und Optik das Familienunternehmen Fielmann, mit laut Geschäftsbericht 2024 weltweit ca. 400 Mischbetrieben und im geringerem Umfang Apollo, das sich im Besitz des internationalen Marktführers EssilorLuxottica befindet, als bundesweit agierende Großfilialisten übrig.

Wie wird es weitergehen?

Es ist zu erwarten, dass die Filialisierung nicht nur in Deutschland weiter zunehmen wird. Hinzu kommen neue Angebote im Bereich des Over-the-Counter Marktes und des Internethandels. Diese Marktsituation ist jedoch auch eine Chance für kleine lokale Anbieter, denn es gibt eine Reihe von Kunden, die sich in einem traditionellen Fachbetrieb besser aufgehoben fühlen. Um diese Kunden zu erreichen, benötigt es allerdings eines Konzeptes oder besonderer Ideen. Die großen Ketten können mit bekannten Testimonials oder Fernsehwerbung völlig anders am Markt agieren. Die Präsentation vor Ort bleibt daher nach wie vor eine spannende Herausforderung.