Christian Honsig, Sascha Haag und Tobias Wiedmann über den Start der Augmented-Xperience-Plattform
Nachdem Signia im Januar dieses Jahres die Motion-X-Produkte sowie mit Active und Active Pro Hörsysteme im Earbud-Design präsentierte, folgt im zweiten Quartal, wie angekündigt, das nächste Highlight:
Augmented Xperience. Warum die neue Plattform ein Sprung ist und welche Neuerungen mit ihr einhergehen, darüber sprachen wir mit Christian Honsig, Sascha Haag und Tobias Wiedmann.
Herr Honsig, Herr Haag, Herr Wiedmann: Zum Launch von Augmented Xperience haben Sie erneut auf eine große Inszenierung für das digitale Launch Event gesetzt. Wie wichtig ist diese Inszenierung eines Launches für Sie?
Honsig: Die Entwicklung einer neuen Plattform dauert gerne mal sechs Jahre. Wenn man sieht, was da alles geleistet wurde und was da technologisch drinsteckt, ist so ein Launch Event das Mindeste, was wir tun können, um dieses Meisterstück zu highlighten. Im Moment geht das leider nur digital, sonst wären wir, wie in jedem Frühjahr, mit unserem Signia Event unterwegs. Aber durch unsere zwei bisherigen digitalen Events haben wir einige Learnings erlangt – und da wollten wir zum Start einer neuen Plattform noch mal einen draufsetzen. Ich hoffe das ist uns gelungen.
Da Sie die Erkenntnisse aus den vorangegangenen digitalen Events ansprechen: Würden Sie sagen, dass so ein digitales Event für die Inszenierung eventuell sogar besser geeignet ist als eine Präsenzveranstaltung?
Wiedmann: Da tue ich mich wirklich schwer. Beides hat seine Vorzüge. Zumal man Vor-Ort-Veranstaltungen mittlerweile so mit digitalen Tools anreichern kann, dass man auch da das inszenieren kann, was man vermitteln möchte. Andererseits können wir mit einem digitalen Launch schneller eine größere Verbreitung erreichen. Bei einer Vor-Ort-Veranstaltung wären wir an verschiedene Kapazitäten gebunden. Wiederum andererseits hätten wir Walter Röhrl natürlich sehr gerne unseren Kunden persönlich vorgestellt. Es hat also beides sein Für und Wider, weshalb wir Launch Events künftig wohl immer als Hybrid veranstalten werden.
Für den Launch haben Sie mit Ingolf Lück auf einen externen Moderator gesetzt. Warum das?
Wiedmann: Wir wollten die neue Plattform aus unterschiedlichen Perspektiven beleuchten. Eingangs kamen die Entwickler zu Wort, Sascha Haag hat die Technik vorgestellt, Dennis Prasetyo präsentierte das Gerät, abschließend berichteten Walter Röhrl und sein Akustiker aus der Kundenperspektive. Die Übergänge zwischen den Teilen sollten professionell moderiert werden. Und auf Ingolf Lück ist die Entscheidung auch deshalb gefallen, weil er, wie Christian Honsig es in der Keynote ganz kurz erwähnte, auch ein Kenner ist, ohne darauf hier tiefer eingehen zu wollen.
Für die Entwicklung der Augmented-Xperience-Plattform wurde, wie in der Keynote gesagt, bestehende Technik nochmals hinterfragt. Nun weiß man ja, dass sich Rechenleistung in absehbaren Intervallen immer wieder verdoppelt. Woher wissen Sie, was Sie mit diesen Kapazitäten anfangen möchten?
Haag: Für unsere Entwicklungen arbeiten wir mit einem großen Netzwerk zusammen, über das wir auf verschiedene Universitäten und deren Forschung zurückgreifen können. Dazu kommen unsere eigenen Entwicklungsstandorte, so dass wir da sehr gut aufgestellt sind. Andererseits orientieren wir uns bei all unseren Überlegungen stets am Kundenbedarf. Daher können auch so banale Situationen wie etwa ein Gespräch in einem gefüllten Café den Ausschlag geben. Wie die Entwickler es in der Keynote sagten: Alles beginnt mit einem guten Kaffee – bei dem sie selbst die Erfahrung in einer herausfordernden Situation machten und sich fragten, wie diese Situation wohl für einen Schwerhörigen ist, wenn sie selbst schon Schwierigkeiten haben. Daraus ergab sich ein Szenario, in dem man sich sagte, dass man mit anderen Mitteln das Thema noch mal neu aufrollen könnte. Im Grunde ist Sprachverstehen im Störschall ja ein alter Hut. Immer wieder wird versucht, das zu verbessern. Bisher hat man sich dafür in der Regel am Normalhörenden orientiert, doch inzwischen ist die Technik so weit fortgeschritten, dass man eigentlich sogar darüber hinausgehen kann. Nach Kilian benötigt ein Normalhörender einen positiven SNR von 2 dB, um auf 100 Prozent Satzverstehen kommen zu können. Der Schwerhörige benötigt meistens einen deutlich höheren SNR, weil er schlechter in Zeit-, Frequenz oder Pegelunterschiede auflöst und oder eine gewisse Deprivation durchlebt hat und dadurch generell kognitiv in der Verarbeitung abgebaut hat. Wir haben hier also einen Fakt, den wir über das Normale hinaus kompensieren müssen. Und dabei hilft eine erweiterte Wahrnehmung oder eine erweiterte Erfahrung, wie wir sie mit der Augmented-Xperience-Technologie anbieten, durchaus weiter.
Wenn man davon ausgehen muss, dass es immer wieder neue Möglichkeiten geben wird: Was bedeutet das eigentlich für die Kommunikation? Man preist das Neue als das Beste an, weiß aber, schon bald kommt wieder etwas Besseres …
Wiedmann: Deswegen ordnen wir alles einer Strategie unter. Ein Schritt folgt dem nächsten. Wir haben Grundlagen-Technologien in unseren Hörsystemen, die wir stetig weiterentwickeln, alles baut aufeinander auf. Das vereinfacht auch die Kommunikation und macht es für unsere Kunden nachvollziehbar. Mit dem Thema der stetigen Verbesserungen sind wir in der Hörakustik aber nicht allein, das ist überall so. Wichtig ist, dass alles auf den gleichen Mechanismen aufbaut. Mit unserer Layer-Technologie hatten wir auf der Xperience-Plattform einen super Wurf. Und nun haben wir wieder etwas, das noch ein Stück besser ist. Aber das heißt eben nicht, dass das davor falsch war. Es war einfach zu einem früheren Zeitpunkt. Zumal wir ja nicht mit unserer Philosophie brechen. Die ist konstant. Was braucht man für gutes Hören? Dafür heben wir unsere Technik stets auf die nächste Ebene.
Haag: Ein Beispiel wäre hier die Richtmikrofontechnik. Die staffierten wir zwischen binax und Nx durch verschiedene Entwicklungsschritte weiter aus bis hin zum binauralen Beamforming mit einem Winkel von 20° in der maximalen Fokussierung. Anschließend dachten wir das Prinzip anders und reicherten den Richtwirkungseffekt des binauralen Beamformings geschickt mit Umgebungsinformationen an, natürlich immer unter der Prämisse, dass man gut versteht. Die Layer-Technologie war hier der erste Schritt. Und nun gehen wir weiter, indem aus den beiden Layern für Sprache und Richtwirkung sowie Geräusche und Filter nun eigenständige Signalpfade werden, auf denen wir jeweils die kompletten Filterbänke, den Einfluss des Verstärkers und natürlich einen eigenen Signalprozessor nutzen können.
Was ist das Ergebnis der Verarbeitung auf zwei Signalpfaden?
Haag: Dank der zwei voneinander getrennten Sig- nalpfade haben wir die Möglichkeit, eine Art gerichtetes Verstärkungssystem zu erzeugen. Das kann man sich vorstellen wie eine Hemisphäre, die nach vorne gelagert und sehr linear ist und die mit einem gewissen Grad an Verstärkung versorgt wird. Dazu kommt eine weitere Hemisphäre, die eher seitlich und nach hinten gelagert ist, die adaptiv bei Bedarf absenkt und dabei auch kompressiver arbeitet. Daraus ergibt sich eine Art gerichtetes Verstärkungssystem, das nicht auf die Richtmikrofone zugreift. Die kommen erst in besonders herausfordernden Situationen zum Tragen. Hat man also Störgeräusche von nicht so großem Ausmaß um sich, läuft das gerichtete Verstärkungssystem. Selbst, wenn ich auf einem Bahnsteig stehe, der Zug einfährt und ich mich dabei mit einer Person unterhalte, reicht das System schon aus. Stehen auf dem Bahnsteig jedoch viele Menschen, die sich ebenfalls unterhalten, wird das System on top die Richtmikrofone sowie das binaurale Beamforming einsetzen. Damit schließen wir den Dialog zwischen dem Nutzer und seinem Gegenüber sozusagen in einer Art Blase ein. Wir nennen diese auch Augmented Zone. In der kann ich alles kristallklar verstehen und bekomme die Umgebung in der Dosierung zugespielt, wie ich sie bei meinem individuellen SNR-Bedarf benötige, um gut und langfristig in der Aufmerksamkeit bleiben zu können.
Was bedeutet das für die Anpassung? Welche Eingriffsmöglichkeiten haben Hörakustikerinnen und -akustiker?
Haag: Über die Software kann man zum Beispiel Einfluss darauf nehmen, bei welcher SNR-Unterschreitung die beiden Signalpfade mit ihren Wirkungsweisen und ihrem Zusammenspiel einsetzen. Dafür gibt es in der Connexx das Dynamic Soundscape Processing 2.0. Je nachdem, wie man den Slider setzt, fängt das System an zu regeln. Das kann man zum Beispiel sehr progressiv laufen lassen, indem man da voll auf den Fokus geht. So würde die Regelung schon bei einem sehr positiven SNR von 12 dB einsetzen. Benötigt der Träger nicht so viel Unterstützung und genießt das Rundumhören noch in vollen Zügen, kann man auch in Richtung des Normalhörenden gehen und die Regelung erst ab 4 dB einsetzen lassen. Um hier zu der richtigen Einstellung zu kommen, kann man verschiedene Messverfahren einsetzen wie etwa ein Screening des Acceptable Noise Levels.
Und als Nutzer? Wie könnten die Einfluss nehmen?
Haag: Das wäre die zweite Variante. Man kann sich als Akustiker ja auch dafür entscheiden, die Einmessung, die ich eben erwähnte, über den täglichen Gebrauch stattfinden zu lassen. In dem Falle käme der Signia Assistant zum Einsatz, also unsere Unterstützung auf Chatbasis mit einem kleinen Bot in der Fernbedienungs-App. Dem kann man als Nutzer einen gewissen Hörbedarf melden, etwa, wenn ich in einer Situation nicht so gut verstehe. In dem Fall würde die KI darauf Zugriff nehmen und eine Verbesserung forcieren durch Änderung der Stellung des Dynamic Soundscapes 2.0.
Ebenfalls neu ist e2e 4.0. Inwiefern profitieren Hörakustiker und deren Kunden von dieser Weiterentwicklung?
Haag: e2e 4.0 arbeitet mit einem deutlich erhöhten Datendurchsatz. So schaffen wir es jetzt, die 96 Kanäle der einen Seite über einen Audiodatentransfer der anderen Seite komplett verfügbar zu machen. Für die Geräte ist das ein enormer Kraftakt, statt der 96 Kanäle müssen sie nun in kritischen Situationen auch die 96 Kanäle der gegenüberliegenden Seite verarbeiten – in Summe also bis zu 192 Kanäle. Zudem müssen die Systemuhren der vier Prozessoren bis auf die Nanosekunde synchron arbeiten. Dadurch lassen sich sämtliche interaurale Pegel- und Lautheitsdifferenzen natürlich abbilden, so dass man akustische Objekte im Raum sehr gut zuordnen kann.
Stichwort Konnektivität. Das Pure Charge&Go AX ist iOS- und ASHA-kompatibel. Außerdem verfügt es beim Streaming über einen dritten Signalpfad. Was bedeutet das für das Streaming-Signal?
Haag: Wir sind damit in der Lage, den dritten Sig- nalpfad sehr linear zu betreiben. Der läuft also nicht durch die Hörgerätekompression. Das ist zum Beispiel wichtig, um beim Musikhören ein ausreichendes Volumen zu erzielen. Zudem kann man nun Soundprofile hinterlegen, also verschiedenen Quellen einen eigenen Klang geben, und das Hörsystem detektiert selbstständig, welche Quelle gerade der Zuspieler ist. Eingestellt werden muss das vom Akustiker. Nutzer selbst haben hierauf nur bedingt Zugriff. Die können auf eine Klangwaage zurückgreifen und Bässe oder Höhen hinzugeben oder absenken.
Erhältlich sind all die Neuigkeiten im Pure Charge&Go AX. In welchen Varianten ist das Gerät aktuell verfügbar?
Wiedmann: Wir starten Augmented Xperience mit unserem Alleskönner in der allseits beliebten Lithium-Ionen-Bauform in den drei oberen Leistungsklassen. Außerdem gibt es ein Pure Charge&Go T AX, also mit T-Spule. Diese Variante hat zwar ein leicht größeres Gehäuse, beinhaltet dafür aber auch einen stärkeren Akku mit einer Laufzeit von über 30 Stunden. Und last but not least haben wir die CROS-Versorgung auf die neue Plattform gestellt und das CROS-Mikrofongerät gleich mit gelauncht.
Sie erwähnen keine Batterie-Variante …
Wiedmann: Wir ticken schon voll Lithium-Ionen. Wobei das hier schon noch mal besonders ist. Augmented Xperience ist die erste Plattform, die wir nur mit LI-Geräten launchen.
Haag: Die Lithium-Ionen-Technik verspricht uns für die kommenden Jahre ganz andere Möglichkeiten als die Zink-Luft-Batterie. Die ist bereits im ausentwickelten Stadium. Was soll da also noch passieren, außer, dass sie uns in unseren Überlegungen limitieren würde? Daher gehen wir den Weg, der noch ausbaufähig ist.
Wenn Sie sagen, dass zum Beispiel e2e 4.0 einerseits ein großer Kraftakt ist, Sie aber nun in den Systemen mit T-Spule einen Akku mit über 30 Stunden Laufzeit haben: Wie kriegen Sie das unter einen Hut? Ist das eine Signia-Leistung oder geht das auf Ihren Akku-Lieferanten zurück?
Haag: Das ist ein Zusammenspiel mit unseren Akku-Lieferanten. Die Energiedichte wäre hier ein Stichwort. Ich denke, da leisten die einen hervorragenden Job.
Honsig: Was ebenfalls eine wesentliche Rolle spielt, ist, dass wir nach wie vor die einzigen sind, die sich eine eigene Chip-Entwicklung leisten. Gerade die Frage, welche Komponenten man auf den Chip bringt und welche nicht, hat auf den Energieverbrauch einen wesentlichen Einfluss.
Neu ist auch der miniReceiver 3.0. Was haben Sie erneuert?
Haag: Aufgrund des Anschlusses des Hörers hatten wir hier bisher einen limitierenden Faktor was die Größe anbelangt. Man konnte die Geräte in der Breite nicht mehr kleiner bauen. Also haben wir eine Neuerung realisiert. Gleichzeitig haben wir so einen Makel in der Handhabung behoben. Viele Nutzer drücken ihre Otoplastik, den Dome oder Sleeve ja mal etwas nach – und das tun die, indem sie bei den bisherigen Receivern auf die Litze drücken. Dadurch wurde die immer an ihrem Anschlusspunkt gequetscht, was auf Dauer sicherlich nicht gut ist. Dadurch, dass die Litzen nun seitlich eingeführt werden, konnten wir das mit dem neuen Receiver ebenfalls lösen. Nun drückt man am Gehäuse und nicht mehr an der Litze, was sicherlich zur Stabilität beiträgt.
Gibt es außerdem neues Zubehör?
Honsig: Beim Thema Portable Charging hat sich etwas Wesentliches verändert. Hier haben wir, auch weil das beim Styletto unglaublich gut angekommen ist, jetzt für das Charge&Go einen Charger, der einem erlaubt, vier Tage unabhängig von einer Steckdose unterwegs zu sein.
Haag: Damit kann man nun auch auf Ladetechnik beraten und Mehrwerte generieren. Möchte ein Kunde übers Wochenende unabhängig von Stromquellen sein, kann er die Powerbank nutzen. Wer wiederum Wert auf Hygiene legt, kann die Ladestation mit Trocknungsfunktion und UV-Licht-Desinfektion nutzen.
Im Rahmen der Keynote haben Sie mit Walter Röhrl auch ein neues Testimonial vorgestellt. Er folgt auf Miroslav Nemec. Wie passt die Rallye-Legende zu Signia?
Wiedmann: Walter Röhrl passt perfekt zu unserem neuen Markenclaim: Be Brilliant. Er ist eine brillante Persönlichkeit. Bei allem, was er bisher in seinem Leben getan hat, war er sehr perfektionistisch. Und das wird er auch weiterhin sein. So eine Person zu überzeugen und zu begeistern, ist eine starke Aussage. Dazu kommt seine hohe Glaubwürdigkeit. Walter Röhrl ist jemand, der sich außerdem nicht scheut, seine Meinung zu äußern. Und er ist sehr rational. Hat er ein Problem, will er dafür die perfekte Lösung – und die hat er bei Signia gefunden. In ihm haben wir einen Fürsprecher für Hörsysteme und einen super Partner, und natürlich ist er bei den Babyboomern sehr bekannt und beliebt. Für Augmented Xperience haben wir mit ihm eine 360°-Kampagne aufgesetzt, ähnlich wie mit Miroslav Nemec.
Und im kommenden Quartal folgt dann schon das nächste Highlight?
Honsig: Ja. Natürlich ist es sportlich, in der Zeit all die Themen unterzubringen, die Trainings und die Kampagne zum Endkunden weiter zu transportieren. Wir haben also alle Hände voll zu tun. Das wird ein spannendes Quartal, und danach wird es nicht weniger spannend.
Meine Herren, haben Sie vielen Dank für das Gespräch.